„Den Kopf wieder frei bekommen“ –
Polizeiseelsorger laden zum Inselseminar

„Manchmal reicht es, die Frage einfach nur anzuschauen – ohne sofort eine Lösung parat zu haben.“ Mit diesem Gedanken beschreibt Landespolizeiseelsorger Andreas Herzog den Kern eines besonderen Seminars: Vier Tage auf Spiekeroog. Zum ersten Mal ein Seminar auf einer Insel, abseits vom Alltag, umgeben von Wind und Meer. Dort trafen sich 15 Polizeibeamtinnen und -beamte, um sich selbst und ihre Belastungen neu in den Blick zu nehmen. Das Seminar war ausgebucht.
Abgeschiedenheit als Schlüssel
„Wir wollten einen Ort schaffen, an dem man nicht weglaufen kann – weder voreinander noch vor sich selbst“, erzählt Herzog. Die Wahl fiel bewusst auf die Insel: Weite, Stille und die Möglichkeit, den Kopf durchpusten zu lassen. „Das Meer tut einfach gut. Der Wind klärt die Gedanken.“
Gemeinsam mit seinem Kollegen, Landespolizeipfarrer Uwe Hackbarth-Schloer, entwickelte Herzog ein Programm, das Achtsamkeit und systemische Beratung miteinander verband.
Zwischen Schlümpfen…
Die Tage begannen ungewöhnlich: mit meditativen Übungen, angeleitet von Uwe Hackbarth-Schloer. Besonders eindrücklich blieb vielen ein Bild, das erst einmal zum Schmunzeln führte – und dann ins Nachdenken: die Schlümpfe. „Am eindrücklichsten war die Arbeit zum Thema innere Saboteure oder hinderliche Glaubenssätze. Herr Hackbarth-Schloer hat eine längere meditative Einheit eingeleitet – und er hat das mit den Schlümpfen verglichen. Jeder kennt die Schlümpfe. Jeder hat so seine Begabung, oder sein Handicap. Und trotzdem gehören alle dazu. Das fanden viele ein sehr tolles Bild.“ So sei es auch mit unseren eigenen Schwächen: Wir sollten sie nicht verdrängen, sondern annehmen.
Uwe Hackbarth-Schloer ergänzt: "Ich habe mit den Schlumpffiguren eine Art Aufstellung gemacht: Was passiert in meinem Kopf, wenn ich in die Stille gehe? Welche Stimmen werden laut, welche Inneren Anteile treten auf? Warum machen die das? Und: Wie kann ich damit umgehen? Das habe ich mit den Figuren erst in einem kurzen Impulsvortrag visualisiert, später in Einzelberatungen wieder aufgenommen und mit den individuellen Geschichten verbunden."

Familien“geschichten"...
Nach dieser inneren Einkehr folgten systemische Impulse von Andreas Herzog: Woher kommen meine hinderlichen Glaubenssätze? Welche Muster prägen mich – vielleicht schon seit Generationen?
Dazu nutzte er das Genogramm, eine Art erweiterter Stammbaum. „Man trägt nicht nur Eltern und Großeltern ein, sondern auch ihre prägenden Eigenschaften, Konflikte oder Themen, die in der Familie immer wieder auftauchen“, erklärt Herzog. „Plötzlich wird sichtbar, welche Muster wir selbst unbewusst weitertragen – und wie wir ihnen begegnen können.“
Ausschnitt aus Zoom-Gespräch mit Andreas Herzog
… und Strandkorb
Am Rand der Dünen stand ein Strandkorb, der schnell zum Symbol des Seminars wurde. „Wir haben den Teilnehmern vorher gesagt: Egal wie das Wetter ist, wir werden draußen sein. Und wir hatten richtig Glück – Bombenwetter. Ein Tag war fast komplett draußen. Wir hatten einen Seelsorge-Strandkorb, wo die Leute vorbeikommen konnten, um nochmal etwas nachzuarbeiten. Die erste Stunde war es ruhig. Aber dann lagen die Leute rund um den Strandkorb, warteten, bis der nächste wieder raus war. Das war sehr schön.“
Wer wollte, konnte dort im Einzelgespräch sein Genogramm besprechen. „Die Teilnehmer:innen saßen regelrecht Schlange, um dort in Ruhe über ihre Ergebnisse zu reden“, erinnert sich der Pfarrer. „Es war eine sehr intensive, aber auch beglückende Erfahrung.“
Raum für Polizeialltag
Natürlich kamen auch dienstliche Erfahrungen zur Sprache. „Polizisten erleben Dinge, die eine existenzielle Fallhöhe haben“, sagt Andreas Herzog. „Und je länger das Dienstleben dauert, desto schwerer wird es manchmal, alles unter den Hut zu bekommen.“
Ausschnitt aus Zoom-Gespräch mit Andreas Herzog
Stress, Krankheit, Sorgen um die Familie oder der bevorstehende Ruhestand – viele Themen wurden offen benannt. Gerade die Mischung aus gemeinsamer Arbeit, vertraulichen Einzelgesprächen und der heilsamen Distanz zur Dienststelle machte den Reiz aus. Abends, wenn die Gruppe im Schein der untergehenden Sonne zusammensaß und das Meer wie ein roter Streifen am Horizont glühte, wurde oft geschwiegen – ein Schweigen voller Verständnis.

Kirche am Rand – mitten im Leben – Kirche in Zukunft
Aus Sicht beider Landespfarrer nimmt die Polizeiseelsorge bei dieser Arbeit eine besondere Rolle ein. „Wir stehen am Rand des Systems – und genau das ist unsere Stärke“, betont Andreas Herzog. „Wir verstehen die Polizei, gehören aber nicht zu ihr.“ Und so richtig werden sie nie ankommen im System Polizei, sagt er.
Ausschnitt aus Zoom-Gespräch mit Andreas Herzog
Für die Arbeit bei der Polizei ist und bleibt die Außenperspektive sehr wichtig. Die Kirche setze mit der Polizeiseelsorge ein Zeichen, vor allem bei ErmittlerInnen im Bereich der Kinderpornographie bzw. Sexuellem Missbrauch zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen: „,Dass wir als Kirche, die sich ihrer eigenen Verfehlungen stellen muss, gerade Ermittlern eine verlässliche Begleitung anbieten – das ist ein starkes Signal. Wir gehen nicht weg.“
Positive Resonanz – Fortsetzung folgt
Die Rückmeldungen waren eindeutig: „Wir hätten gern noch einen Tag länger gemacht“, hieß es mehrfach. Für Herzog ein deutliches Signal: „Die Kombination aus Achtsamkeit und systemischer Arbeit funktioniert – das geht Hand in Hand. Und genau dazwischen ist der Mensch.“
Ausschnitt aus Zoom-Gespräch mit Andreas Herzog
Zeit also – auch für die Insel: Eine Fortsetzung ist schon geplant. Im kommenden Jahr soll das Inselseminar auf Borkum stattfinden. Dort warten neue Strände, neue Wege – und wieder eine Chance, den Kopf freizubekommen und Ungutes herauszupusten.
Bericht: Barbara Siemes
Fotos: Andreas Herzog
