Achtsamkeit

Sonnenuntergang

Achtsamkeit bei der Polizei

„Ich habe mein Bestes getan“ 

Wie Achtsamkeit Polizist:innen unterstützen kann, das Unerträgliche besser zu ertragen

Grabskulptur
Psychologie und Seelsorge schließen einander nicht aus, glaubt Polizeiseelsorger Uwe Hackbarth-Schloer. Auch Jesus ging es um den ganzen Menschen. Foto: pixabay

Stress, Gewalt, menschliches Elend – der Alltag von Polizist:innen ist oft weit entfernt von Routine. Wie gelingt es, mit dem Erlebten klarzukommen, nicht innerlich abzustumpfen oder daran zu zerbrechen? Der Landespolizeiseelsorger Uwe Hackbarth-Schloer  (§4-Behörde Düsseldorf) beschreibt, wie Achtsamkeit dabei unterstützen kann. 

Atmen als Anker im Sturm

„Einatmen. Ausatmen. Den eigenen Atem spüren und das bewusste Lenken der Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt“, das ist für Uwe Hackbarth-Schloer der Kern von Achtsamkeit – und gleichzeitig der Anfang jeder Übung.

Was banal klingt, birgt ein großes Potenzial: „Gerade in Berufen mit hohem Stresslevel kann diese bewusste Hinwendung zur Gegenwart eine enorme Wirkung entfalten.“ Statt in Gedanken bei vergangenen Einsätzen zu verharren oder sich in Sorgen über künftige Herausforderungen zu verlieren, hilft Achtsamkeit, im Moment zu bleiben. Das sei keine esoterische Wohlfühltechnik, betont Hackbarth-Schloer, sondern eine Form „geistiger Selbstverteidigung“. 

Die Ursprünge liegen in der Schmerzmedizin und sind wissenschaftlich begründet (siehe Info-Kasten). Forscher in den USA fanden heraus, wie Schmerzen und Ängste im Gehirn verarbeitet werden und sich dieser Prozess durch einfache Meditationsübungen positiv beeinflussen lässt. Das bedeutet, „wenn ich mir meine kognitiven Bewertungsprozesse, die oft unbewusst stattfinden, bewusst mache, und wenn ich an bestimmten kognitiven Mustern und Einstellungen arbeite, dann wird sich auch mein emotionales Erleben verändern.“ Sprich: Man bekommt Einfluss darauf, wie Stress sich besser „verarbeiten“ lässt. 

„Ich habe mit Achtsamkeit schon in der Schule gearbeitet – mit Schüler:innen, mit Lehrer:innen. Als ich dann zur Polizei kam, war für mich schnell klar: Das brauchen wir hier auch“, erzählt der Pfarrer. Doch was in der Schule in festen Gruppen und festen Räumen gut funktionierte, ist bei der Polizei eine logistische Herausforderung: wechselnde Schichten, plötzliche Einsätze, wenig planbare Strukturen.

Zwischen Blaulicht und Belastung: Achtsamkeit für Polizei

Polizist:innen sind lösungsorientiert. Sie werden, gerade wenn sie auf der Straße arbeiten, oft in Bruchteilen von Sekunden gezwungen, sich sehr schwierigen Situationen zu stellen oder Entscheidungen zu treffen: Was finde ich an einem Unfallort vor? Welcher Verletzte braucht zuerst Hilfe? Wie verhalte ich mich bei Fußballeinsätzen oder Demos gegenüber betrunkenen und/oder gewaltbereiten Menschen? Wie schütze ich mich als Kriminalbeamter vor Bildern oder nach Vernehmungen, die mit sexuellem Missbrauch zusammenhängen? Oft empfinden Polizeibeamt:innen Gefühle von Ohnmacht, das Erlebte „läuft nach“. Der Stress bleibt schlimmstenfalls dauerhaft auf einem hohen Level, was bekanntlich zu gesundheitlichen Problemen führen kann. 

Achtsamkeit bzw. Atmen soll da helfen?! Manche Beamt:innen können sich das nicht vorstellen. Deshalb beginnt Uwe Hackbarth-Schloer mit Vorträgen. „Ich erzähle von meiner eigenen Geschichte, wie ich in den 70ern über Meditation gestolpert bin – damals war das noch alles ein bisschen skurril“, sagt er schmunzelnd. Für ihn zentral: „Einatmen. Ausatmen. Und nichts weiter.“ 

Achtsamkeit – Wissenschaftlich fundiert
Ursprung
Die moderne Achtsamkeitspraxis (MBSR – Mindfulness-Based Stress Reduction) wurde 1979 vom Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn am MIT Hospital in Boston entwickelt. Dort arbeitete er mit Schmerzpatient:innen, denen Medikamente allein nicht mehr halfen.

Hintergrundidee
Kabat-Zinn kombinierte Erkenntnisse aus der buddhistischen Meditation mit westlicher Medizin – ohne religiösen Überbau. Ziel war es, Patient:innen einen neuen Umgang mit Schmerz zu ermöglichen.

Das MBSR-Programm
Ein standardisiertes, achtwöchiges Kursmodell mit drei zentralen Elementen:
- formale Meditation (z. B. Sitzmeditation),
- sanfte Körperübungen (oft Yoga),
- psychologische Reflexion (Verstehen von Gedanken- und Emotionsmustern).

Wissenschaftlich belegt
Moderne bildgebende Verfahren (MRT) zeigen:
- Strukturelle Veränderungen im Gehirn, z. B. eine Verkleinerung der Amygdala (Zentrum für Angst) und Verstärkung regulierender Hirnareale.
- Verbesserte Schmerzverarbeitung, sowohl bei körperlichem als auch bei seelischem Schmerz.
- Bestandteil moderner psychotherapeutischer Ansätze, z. B.:
MBCT (Mindfulness-Based Cognitive Therapy) 

Wirkung
Schon 15 Minuten tägliche Achtsamkeitspraxis zeigen messbare Effekte auf Psyche und Gehirn – auch für Polizist:innen ein wirkungsvolles Instrument zur Stressbewältigung.

Übungssache: Unangenehme Gefühle aushalten

Viele Polizist:innen kommen zu seinen Workshops mit einer klaren Erwartung: weniger Stress, weniger Grübelei, mehr innere Ruhe. „Und das ist auch völlig legitim“, sagt Hackbarth-Schloer, „aber ich mache auch klar: Da ist kein Schalter, den man umlegt. Achtsamkeit funktioniert nicht sofort. Es braucht Geduld und Übung.“

Dazu gehört auch, sich mit inneren Widerständen auseinanderzusetzen. „Unser Gehirn mag das Hier und Jetzt nicht besonders. Es will in der Vergangenheit bleiben oder lieber die Zukunft planen, analysieren, Probleme lösen.“ Deshalb könne Achtsamkeit unbequem und anstrengend sein. „Aber genau darin liegt die Kraft: den Moment zuzulassen, ohne ihn sofort ändern zu wollen.“

Akzeptanz: Umgang mit dem Unerträglichen

Wie das konkret aussehen kann, erklärt Hackbarth-Schloer an einem Beispiel: Eine junge Polizistin kommt zu einem Einsatz – eine drogenabhängige Person in einer verwahrlosten Wohnung. Der Zustand: Ein Bild des Elends. Die junge Frau ist erschüttert und auch angeekelt. 

„Ich habe ihr gesagt: Ja, das ist schwer zu ertragen. Aber Achtsamkeit bedeutet auch, in diesem Menschen die Würde zu erkennen, die ihm trotz allem zusteht“, erzählt Hackbarth-Schloer. „Und es bedeutet, diesen inneren Widerstand nicht wegzudrücken, sondern bewusst wahrzunehmen.“ Auch in solchen Situationen könne Achtsamkeit helfen – und zwar als Weg zur Akzeptanz. „Nicht alles, was sich für mich unangenehm anfühlt, ist schlecht für mich. Und nicht alles, was sich für mich angenehm anfühlt, ist gut für mich“, sagt er. Achtsamkeit bringe einen nüchternen, aber mitfühlenden Blick auf die Wirklichkeit zurück, eine Möglichkeit für das Gehirn, aus bestimmten Denkmustern auszusteigen. 

„Ich habe mein Bestes getan!“ 

Viele, die zur Polizei gehen, haben eine klare Vorstellung: Verbrechen bekämpfen, Menschen schützen, für Sicherheit sorgen. Doch der Berufsalltag ist oft anders – sozialer, menschlicher, komplexer. „Manche Einsätze sind reine Sozialarbeit“, berichtet Hackbarth-Schloer. „Da geht es irgendwann nicht mehr um Strafverfolgung, sondern darum, Menschen in Notlagen zu begegnen – manchmal mit sehr wenig Einflussmöglichkeiten.“ Das betrifft Kontakte zu Süchtigen, Obdachlosen, Gewaltopfern oder anders „Gestrauchelten“ in unserer Gesellschaft. 

Nicht helfen zu können frustriert, erst recht, wenn Engagement scheinbar ins Leere läuft. „Dann ist es wichtig, sich nicht ausschließlich über Erfolge zu definieren, sondern über die Haltung: Ich habe mein Bestes getan. Auch wenn das Ergebnis nicht das war, was ich mir gewünscht habe.“ Das betrifft auch enttäuschende Erfahrungen mit der Justiz, wenn die Verbrechensbekämpfung am Ende gar nicht oder nicht genügend geahndet wird, Täter, die mühsam ermittelt wurden, wieder auf freien Fuß kommen. 

Energie zurückbekommen: Achtsamkeit ist eine Haltung 

Achtsamkeit braucht keine große Inszenierung „Sie beginnt im Kleinen“, sagt Hackbarth-Schloer. „Beim Zähneputzen bewusst spüren, was man tut. Beim Hochfahren des Polizeirechners, statt auf den Ladebalken zu schimpfen:  Den Atem spüren, das Einatmen bewusst wahrnehmen. Das Ausatmen und die Füße auf dem Boden spüren. Hände auf dem Tisch.“ Seine Devise: Nicht auf den perfekten Moment warten – der beste Moment für Achtsamkeit ist immer jetzt. „Ich brauche keine Matte, keine Kerze. Nur die Bereitschaft, innezuhalten.“ Und den Widerstand gegen das „So sein“ des Lebens aufzugeben. „Dadurch bekomme ich die Energie zurück, das Mögliche zu tun.“

Was als Gesundheitsangebot begann, ist längst mehr geworden: eine Einladung, sich selbst und den eigenen Umgang mit der Welt zu hinterfragen. Dabei verschwimmen für Hackbarth-Schloer die Grenzen zwischen Psychologie und Spiritualität. „Beides beschäftigt sich mit der Seele – der Psyche. Es geht um die Frage: Wie finde ich als ganzer Mensch einen guten Umgang mit dem Leben, so wie es ist?“

Auch ein Schutz vor Bitterkeit

Polizist:innen sehen Dinge, die viele Menschen niemals erleben. Das hinterlässt Spuren. Der Polizeiberuf beinhaltet die Gefahr, innerlich bitter zu werden. Achtsamkeit kann davor schützen. „Sie ist kein Allheilmittel“, sagt Hackbarth-Schloer. „Aber sie hilft, nicht zu verrohen. Sich nicht aufzureiben. Sich nicht selbst zu verlieren. Stress werde ich immer haben, aber ich kann lernen, besser damit umzugehen.“

Im Moment experimentiert der Landespolizeiseelsorger noch mit verschiedenen Formaten: Er bietet Vorträge an, auch Workshops. Welches Setting funktioniert bei der Polizei? „Es sind keine Massenveranstaltungen“, berichtet der Pfarrer, manchmal kämen nur 5 Leute, manchmal 10 und mehr. Im Idealfall gelingt es, den Teilnehmenden ein Bewusstsein dafür zu vermitteln „welche verschiedenen Persönlichkeitsanteile wirksam sind, dass es ein inneres Team gibt, auch einen inneren Beobachter, und wie man damit umgeht.“ Ziel: Auszusteigen aus dem „inneren Tumult“. 

Für ihn ist die Sorge um die Gesundheit der Polizeibeamt:innen zentral. Uwe Hackbarth-Schloer wünscht den Polizistinnen und Polizisten sehr, dass sie den Zugang zur Achtsamkeit finden: „Ich hoffe, dass sie trotz aller Härte des Berufs nicht aufgeben, auch das Gute im Menschen zu sehen.“

Bericht: Barbara Siemes

 

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