„Kirche ist gefragt als Kirche für diese Welt.“
Pfarrer Reinhard Behnke verabschiedet sich in den Ruhestand
„Ich bin so knallvergnügt erwacht. Ich klatsche meine Hüften.
Das Wasser lockt. Die Seife lacht. Es dürstet mich nach Lüften.
Aus meiner tiefsten Seele zieht mit Nasenflügelbeben
ein ungeheurer Appetit nach Frühstück
und nach Leben.“
Welch ein Einstieg in eine Abschiedspredigt mit Joachim Ringelnatz – typisch für den sehr beliebten Landespolizeipfarrer der Behörden Koblenz und Trier, der für seine Empathie hochgeschätzt worden war.
Aber er fand auch nachdenkliche Worte, „ein Teil der Tragik bleibt, aber auch das in uns gesetzte Zutrauen. Eine Sackgasse muss nicht die letztgültige Erfahrung sein. Aus der nicht auflösbaren Spannung zwischen Gelingen und Misslingen ergibt sich die seelsorgliche Aufgabe der Kirchen. Die Kirchen sollen für geschützte Räume sorgen in denen Menschen sich nicht verstellen müssen, nicht bewertet werden und im Namen Gottes geachtet werden, so wie sie gerade sind. Sündige nicht mehr, sondern spüre Deinen Appetit nach Leben.“
Im Folgenden Ausschnitte aus den Grußworten während und nach dem Gottesdienst am 28.02.2024 in der Christuskirche Koblenz:
Eva Bernhardt, die auch die Entpflichtung vorgenommen hatte, wies auf Reinhard Behnkes Erfahrungen in der Krankenhausseelsorge und der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen hin. „Er hat die Sprache kirchenferner und kirchenkritischer Menschen kenngelernt und war ausgebildet in klinischer Seelsorge und Supervision. „Wir danken Gott für Ihre Offenheit und Ihr sensibles Gespür für Menschen und Emotionen."
Der Polizeipräsident wartete mit Anekdoten auf, natürlich mit „Erlaubnis“. Vor allem hob er in seiner Zeit mit Reinhard Behnke dessen regelmäßige Kolumne in der Mitarbeiterzeitung hervor: „Vielen meiner Kolleginnen und Kollegen ging es so wie mir. Sobald bekannt war, es gibt eine neue Ausgabe, haben viele zuerst „Kirche Kompakt“ gelesen. Das war der Beitrag von Reinhard Behnke zu Themen aus Polizei und Gesellschaft. Dabei wurde deutlich: Er ist ein Menschenversteher und ein Menschenfreund. Was kann man mehr von einem Seelsorger erwarten.“
Michael Thönnes würdigte, dass Reinhard Behnke das Thema Supervision innerhalb der Polizei ganz stark nach vorne gebracht habe. „Das haben Sie zupackend und sehr erfolgreich gemacht!“ Als jemand, der erstmal analysiert, was zu tun ist und dann handelt. „Ein Kollege, der in einer Lebenskrise eine seelsorgliche Begleitung bei Ihnen gesucht hatte, sagte mir, ´er hat mir neue Perspektiven eröffnet und unterstützt, ohne Partei zu ergreifen. ` Das ist wirklich eine Kunst!“
"Ich habe viele auch sehr persönliche Gespräche mit Ihnen geführt. In besonderen Lebenslagen waren Sie für die Kolleg*innen ein Ansprechpartner für eine emphatische, christliche Begleitung. Als Flutbetroffene im Ahrtal sprachen Sie mir Mut zu, zeigten mir Ihre Verbundenheit, aber auch neue Perspektiven auf. Auch heute noch erinnere ich mich immer wieder an Ihre Worte. Uns allen gaben Sie das Gefühl, ich bin für Euch da, ich höre Euch zu. Danke - für Ihr großes Engagement für unsere Polizeifamilie.“
„…das weißt Du! Wir haben überlegt, was wir Dir mit auf den Weg geben. Jetzt musst Du ja wahnsinnig viel Zeit haben…“
Und um diese auf verschiedene Weise zu füllen, überreichte Markus Reuter eine Sammlung „kulinarischer und geistiger Nahrung“ an Reinhard Behnke, darunter einen Schlüsselanhänger aus einer Schulterklappe der Polizei. Es wurde deutlich: Auch ökumenisch hatte die Zusammenarbeit gepasst.
"Du warst fast von Anfang an dabei, als die Landeskirche die Polizeiseelsorge professionell aufgestellt hat. Ganz viel Professionalität hast Du mitgebracht, unter anderem durch Deine langen Jahre in der Kinderklinik. Du hast Eltern von schwerkranken und auch sterbenden Kindern begleitet, sie beerdigt, Trauerarbeit geleistet. Menschliche Tiefen und Untiefen erlebt, die Dich nicht zurückschreckten, auch nicht im Raum und in den Belastungen der Polizei. Du konntest in die Tiefe spüren und nach oben holen, was brach liegt und wofür man erstmal Worte finden muss.
Emphatisch zu sein und dabei in professioneller Distanz bleiben zu können, das kann man bei Dir lernen. Danke für alles, was Du in unsere Arbeit eingelegt hast und für Deine Unterstützung und Hilfe.“
Sein Bereich umfasste die Nordhälfte von Rheinland-Pfalz mit den Präsidien Koblenz und Trier. Allein die zum Präsidium Koblenz gehörenden Polizeibeamt*innen und andere Bedienstete sind rund 3000 Menschen. Plus Studierende an der Hochschule der Polizei nahe dem Flughafen Frankfurt-Hahn auf dem Hunsrück. Im Rückblick spricht Pfarrer Reinhard Behnke offen über die Herausforderungen an Polizei-/seelsorge und Kirche und über den Individualismus.
Ein besonderer Teil Ihrer Arbeit als Polizeiseelsorger umfasste die Lehre der polizeilichen Berufsethik an der Hochschule der Polizei RLP …
„Das musste ich mir erst mal aneignen. Es ging zum Beispiel darum, mit Studierenden das Gewicht der ethischen Prämissen und Leitgedanken zu ermessen, die das Grundgesetz der Bundesrepublik und die Verfassungen der Länder prägen. Denn das GG und die Verfassungen sind als Reaktion auf den Staatsterrorismus im Nationalsozialismus entstanden. Die Polizei hat im demokratischen Rechtsstaat eine anspruchsvolle Doppelfunktion: Sie steht einerseits für Prävention, d.h. für die Vorbeugung und Verhinderung von Straftaten und andererseits für Repression, also die Aufklärung von Straftaten und die Ermittlung von Straftäterinnen und Straftätern. Um insbesondere die zweite Aufgabe erfüllen zu können, hat die Polizei gesetzlich sehr genau geregelte Machtbefugnisse, denn sie darf unter bestimmten Umständen in die Freiheit der Bürger und Bürgerinnen eingreifen. Dabei ist es wichtig für die einzelnen Polizistinnen und Polizisten, ein Gespür dafür zu entwickeln, dass Macht auch verführerisch sein kann. Wer darum bereits im Studium selbstkritisch weiß und ethisch ausgebildet ist, dem gelingt es im Einzelfall auch, die „geliehene“ Macht gesetzeskonform auszuüben.“
Gab es weitere Themen?
An der Hochschule ging es auch darum, Seminareinheiten zu entwerfen, zum Beispiel in Bezug auf ethisches Verhalten in ganz konkreten Situationen. Dazu gehören Fragen wie: Wie geht das Überbringen einer Todesnachricht? Oder: Wie schütze ich mich selbst, wenn ich Ermittler*in im Zusammenhang mit Kinderpornografie bin?
Wie haben Sie die Studierenden dabei erlebt?
„Da wurde oft kontrovers diskutiert. Vor allem, wenn es um sexuelle Misshandlungen an Kindern ging. Das empört viele besonders. Da muss drüber geredet werden. Wenn die Emotionen dann schon mal hochkommen, rutscht es manchen Studierenden heraus, dass so ein Täter doch eigentlich sein Lebensrecht verwirkt habe. Das sind wichtige und oft weiterführende Diskussionen. Am Ende gilt ja für alle Straftäter dasselbe Recht und Gesetz - und bei uns eben keine Todesstrafe.“
Sind solche Gespräche eine Herausforderung für einen Pfarrer?
„Dazu frage ich erst mal: Was ist ein Pfarrer? Eine Pfarrerin? Welches Berufs- und Selbstbild liegt hier kirchlich, gesellschaftlich und individuell zugrunde? Wir haben seit ein paar Wochen den Missbrauchsbericht der EKD vorliegen… und ich würde mal das Pfarrersein eher tief hängen, jedenfalls auf jegliches Abgehoben sein, auf jegliche Idee von moralischer Überlegenheit verzichten. Die ethische Fallhöhe ist so unglaublich hoch, wenn man sich zu sehr als jemand Besonderen sieht. Zu Ihrer Frage: Nein, solche kontroversen Gespräche in einer Studiengruppe sind gute Herausforderungen für jeden Menschen, auch für mich, weil es hier um die Menschenwürde geht. Ich persönlich habe von den jungen Leuten jedenfalls viel gelernt. Es hat mir Spaß gemacht, auf Augenhöhe mit ihnen zu diskutieren. Nur so kann ich als Lehrbeauftragter für polizeiliche Berufsethik arbeiten.
Und trotzdem haben Sie die Hochschule der Polizei vor drei Jahren verlassen.
„Ja, weil sich die Ansichten der jungen Leute verändern und ich älter werde. Man muss heute erst einmal über vieles Grundlegende diskutieren, was zu Beginn meiner Lehrtätigkeit selbstverständlich war. Ich habe gemerkt, dass ich älter werde: Meine Fähigkeit, mich in die Lage der 20-jährigen zu versetzen, nimmt ab. Auch meine Bereitschaft. Das gebe ich offen zu. Zur Berufsethik gehört es ja, Menschen einerseits darin zu fördern, eigene Positionen und Wertegebilde zu verantworten und andererseits dialogfähig zu werden und – zugespitzt gesagt - die eigene Meinung auch als eine relative zu verstehen.“